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Kultur- und Nachbarschaftszentrum

Sehr geehrte Frau Merkel,

in Ihrer Neujahrsansprache wünschten Sie den Fernsehzuschauern ein gutes 2013.
Vielen Dank, das wünschen wir, also ich, Ihnen auch.
Seit Ihrer Ansprache denke ich oft an Sie; abends zum Beispiel frage ich mich, ob Sie nun Feierabend haben und abschalten können. Vielleicht kochen Sie sich dann etwas Herzhaftes, vielleicht hat Ihr Mann schon was vorbereitet. Vielleicht haben Sie ja eine Köchin, überlege ich dann. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, wie Sie leben in der Realität.
Noch viel weniger kann ich mir vorstellen, wie es ist, ohne Wohnung, ohne Obdach zu leben. Das kann sich wohl niemand vorstellen, der es nicht am eigenen Leib erfahren hat.
Eine Viertelmillion Menschen in Deutschland hat kein zu Hause. Haben Sie das gewusst? Ich hab das in der Berliner Zeitung gelesen, am Neujahrstag. 500 Notschlafplätze fehlen allein in Berlin. „Na, dann nehmen Sie doch jemanden bei sich auf" werden Sie jetzt sagen. Ja, das sagt sich so leicht, ich hatte mir das auch einfacher gedacht. Im Winter 89 - mein erster Winter mit Bettlern und Obdachlosen auf meinem S-Bahnhof „Friedrichstraße"- da fühlte ich mich verantwortlich. Und am nächsten Tag waren überall Läuse, sie krabbelten nach dem Kochwaschgang auf der Wäsche meines obdachlosen Gastes. Also, mit Nachbarschaftshilfe allein lässt sich die soziale Ungerechtigkeit nicht „wegrationalisieren", das kann ich Ihnen aus eigener Erfahrung sagen. Der junge Mann war echt arm dran, ich hätte ihm gern geholfen, wirklich geholfen...
In Ihrer Neujahrsansprache sprechen Sie von „Wohlstand, Zusammenhalt und Gottes Segen". Darüber werden sich die „Obdachlosen" bestimmt gefreut haben. Ein bisschen Wohlstand und Zusammenhalt werden sie wohl nicht ausschlagen, auf Gottes Segen werden sie sicher nicht so gut zu sprechen sein.
„Wohlstand"- was bedeutet das? Befragt man den Thesaurus, liest man: Reichtum, Besitz, Geld u.a., schlägt man im „Kleinen etymologischen Wörterbuch der deutschen Sprache" von Ernst Wasserzieher, VEB Bibliographisches Institut, Leipzig 1975 (S.253) nach, erfährt man, dass das Wort „Wohlstand" im 18. Jahrhundert mit „Anstand" gleichbedeutend war. Interessante Entwicklung, finde ich.
So, liebe Frau Merkel, das lag mir doch auf der Seele.

Nun wünsch ich Ihnen einen erholsamen Feierabend und verbleibe mit freundlichen Grüßen

Ihre Rosvita Herz aus Berlin- Friedrichshain
18. Januar 2013

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